Vogelgezwitscher und mittelalterliche Theologie
Das Vokalensemble Kölner Dom führt bei dem Kölner Musikfestival ACHT BRÜCKEN „La Transfiguration de Notre-Seigneur Jésus-Christ“ von Olivier Messiaen auf
„Auf den Triller achten, und dann erst setzt das Crescendo ein. Ach ja, und die Aussprache: bitte italienisch und deutlich.“ Bruno Mantovani macht vor, wie er das meint. Dann lauscht er aufmerksam dem Spiel von Korrepetitor Rainer Mühlbach am Flügel, der mit der hohen Tastatur die Stimme des Schwarzkehl-Honiganzeigers, eines afrikanischen Vogels, nachahmt. Schließlich hebt der Dirigent den Taktstock, zählt erneut bis drei und gibt den Einsatz. „Pianissimo und dennoch im Metrum bleiben“, korrigiert er freundlich den Chor, der mit verminderter Dynamik automatisch auch langsamer wird. „Für Messiaen war der Rhythmus sehr wichtig. Deshalb müssen wir uns genau daran halten – auch wenn es nicht leicht ist, auf den Punkt die schwierigen Intervalle zu finden“, erklärt Mantovani und mahnt: „Im Tempo bleiben!“ Später ruft er: „Sehr gut. Jetzt war der Ausdruck richtig stark! Und nun das Ganze da capo – noch einmal nur zu meinem Vergnügen…“ Wieder setzen die Sängerinnen und Sänger im Lindenthaler Edith-Stein-Saal an, folgen den Hinweisen des Maestros auf Englisch und wiederholen die schwere Stelle, damit der Gastdirigent aus Paris zufrieden feststellen kann: „Eigentlich haben die einzelnen Stücke alle denselben Charakter; was für das eine gilt, ist auch für das andere zwingend.“ Übersetzt heißt das für den Chor: Wer Messiaen im ersten Satz seiner oratorienähnlichen Komposition verstanden hat, dem dürften auch die 13 Nachfolgesätze nicht weiter schwer fallen.
Eine solche Ermunterung macht Mut. Denn in der Tat ist die monumentale Komposition „La Transfiguration de Notre-Seigneur Jésus-Christ“ von Olivier Messiaen, die insgesamt 200 Mitwirkende vorsieht, eine große stimmtechnische Herausforderung für jeden Chor und straft außerdem gängige Hörgewohnheiten Lügen. Das französische Auftragswerk, entstanden ab 1965 und 1969 in Lissabon uraufgeführt, manifestiert Messiaens musikalisches System, das auf seinen Erfahrungen aus dem Studium der Zahlenmystik, griechischer und indischer Rhythmik, des Vogelsgesangs – der Komponist war nebenbei auch passionierter Ornithologe und hat etwa 80 Vogelrufe, meist bei den Holzblasinstrumenten, eingearbeitet – und der intensiven Beschäftigung mit den Werken von Debussy, Strawinsky und der Gregorianik basiert. Es gibt keine erkennbare Melodie. Die Intention des Komponisten ist vielmehr, dass das Publikum die Klänge mit Farben oder Geräuschen der Natur verbindet.
Der aktuelle Interpret dieser komplexen Musik – Mantovani – ist selbst französischer Komponist, also ein Landsmann, seit wenigen Jahren Direktor des Pariser Conservatoire und gilt in seiner Heimat als Liebhaber zeitgenössischer Musik und ein mit der Moderne äußerst vertrauter Künstler, der schon mit vielen Preisen ausgezeichnet wurde. Bei der Probenarbeit zur „Verklärung des Herrn“ mit den beiden Chören Vokalensemble Kölner Dom und dem Odenthaler Vocalensemble Udin d’ART ist er daher auch ganz in seinem Element – das ist dem 41-Jährigen deutlich anzusehen. Doch noch liegt vor dem musikalischen Leiter dieses ehrgeizigen Projektes, das in internationalen Konzertsälen nicht oft zu hören ist, bis zum nächsten Wochenende ein gutes Stück Arbeit des aufeinander Hörens und punktgenauer Maßarbeit. Dann soll diese Aufführung nämlich am Sonntagabend in der Philharmonie beim „Acht Brücken“-Festival als „Höhepunkt“ eines langen Konzerttages, wie der Veranstalter wirbt, stattfinden und die letzte von sieben sehr unterschiedlichen Darbietungen an diesem Tag unter der großen Überschrift „Musik und Glaube“ sein. Mit dieser Paarung, die gleichzeitig das Festivalsmotto bildet, greift „Acht Brücken – Musik für Köln“ in diesem Jahrein Thema auf, mit dem bei mehr als 50 Veranstaltungen aus dem Bereich neue Musik, Klassik, Jazz, Weltmusik und Pop vom 30. April bis 10. Mai die klingende Welt der Spiritualität in verschiedenen Kulturen im Mittelpunkt steht. Neben religiöser Musik im engeren Sinne erklingen insbesondere heutige Kompositionen, in denen große menschliche Fragen von Sein und Sinn, von Angst und Zuversicht thematisiert werden.
„Mir war wichtig, dass dieses zutiefst katholische Werk, das textlich weitestgehend auf dem Matthäus-Evangelium, Psalmen und der mittelalterlichen ‚Summa theologica’ von Thomas von Aquin beruht, auch von einem katholischen Chor gesungen wird.Daher bin ich sehr froh, dass das Kölner Festival ‚Acht Brücken’ auf uns als Chöre aus dem Erzbistum Köln zugegangen ist. Ich habe diese Einladung gerne angenommen und stehe nun trotz der enormen Herausforderung aus tiefer Überzeugung hinter dieser Kooperation“, argumentiert Chorleiter Eberhard Metternich und spricht von einer „völlig neuen musikalischen Erfahrung“. Aufmerksam liest er während der von Mantovani geleiteten Proben die Partitur mit – einen Klavierauszug gibt es bis heute nicht zu „La Transfiguration“ – und wird sich diesmal auch selbst unter die Tenöre mischen. Seit Anfang des Jahres studiert Metternich die schweren Passagen, die zum Teil zehn- und 20-stimmig sind, mit seinem Vokalensemble ein. Gleich mehrere Wochenenden hat er dafür veranschlagt. „Allerdings haben wir eine solche Probenarbeit, die jeden an seine Grenzen bringt, so auch noch nicht gehabt. Selbst wenn über weite Teile unisono gesungen wird, haben es die Intervalle, wie der Tritonus, eine große Septime oder die kleine None, in sich“, räumt der Leiter der Kölner Dommusik ein und unterstreicht den extrem hohen Schwierigkeitsgrad dieser Literatur. Außerdem bestehe sie aus vielen unterschiedlichen Taktarten; immer wieder wechsle das Tempo. Auch das seien Eigenheiten, die für seinen Chor nicht alltäglich sind und akribische Konzentrationsarbeit erforderten. „Trotzdem ist es ein total faszinierendes Stück; am Ende stimmen selbst die schärfsten Dissonanzen, auch wenn diese Musik im ersten Moment für den Zuhörer nicht einfach und nicht unbedingt ein Hörgenuss ist. Messiaen ist nun mal nicht Bach oder Mozart. Und an Experimenten solcher Art kann schließlich jede Chorgemeinschaft nur reifen. Einfach ein einmaliges Erlebnis!“
Inhaltlich schildert die „Verklärung“ die biblische Episode, als Jesus mit den Jüngern Petrus, Jakobus und Johannes auf einen hohen Berg steigt, wo ihnen während ihres Gebetes Mose und Elijah erscheinen. Ein überirdisches Licht verklärt Jesus. Seine Gestalt erscheint mit einem Mal strahlend weiß. Erschrocken werfen sich die Apostel zu Boden und hören eine Stimme aus den Wolken: „Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe.“ Messiaen, der zeitlebens Organist an der Pariser Trinité und ein tief spiritueller Mann war, wie seine vielen schriftlich fixierten Interpretationsansätze und Anmerkungen zu den einzelnen Teilen im Original dokumentieren, legt seiner symphonischen Meditation die lateinische Sprache zugrunde und strukturiert die 14 Einzelsätze in zwei Siebenteiler, sogenannte Septenarien. Am Ende ergibt sich ein „monumentales Epos, von wuchtigem Pathos, von opulenter Festlichkeit, aber auch zerklüftet in multipler Stilistik, schroffen Kontrasten und komplexer Rhythmik“, wird vorab in der Ausschreibung gerühmt. „Es ist die Diesseitigkeit des Göttlichen, die Messiaen in seiner Musik gestaltet. Gerade das macht sie so mitreißend, faszinierend und auch zeitlos.“
„La Transfiguration“ ist eingebettet in den ACHT BRÜCKEN-Freihafen, bei dem rund 600 Chorsänger der Region über den Tag verteilt eine Vielfalt an Chorwerken an reizvollen Spielstätten, in Kirchen und Konzertsaal, präsentieren: ein Requiem, Kompositionen nach Shakespeare, die Tangomesse „Misa a Buenos Aires“ von Palmeri, türkisch-arabisch-deutsch-russische Klangwelten, Werke von Camille van Lunen, John Tavener und Brett Dean und – „zum krönenden Abschluss“, wie im Programmheft überschwänglich vermerkt wird – eben Olivier Messiaen.
Das Konzert „La Transfiguration de Notre-Seigneur Jésus-Christ“ für gemischten Chor, sieben Soloinstrumente und großes Orchester beginnt am 1. Mai um 20 Uhr in der Philharmonie. Es singen das Vokalensemble Kölner Dom/Einstudierung Eberhard Metternich und das Vocalensemble Udin d’ART/Einstudierung Thomas Kladeck unter der Leitung von Bruno Mantovani. Der Eintritt ist frei. Das Konzert ist live auf WDR 3 zu hören und wird gleichzeitig vom WDR-Fernsehen für einen späteren Sendetermin aufgezeichnet.
Beatrice Tomasetti