Im Mittelpunkt steht das Kreuz
Das Kölner Chorensemble „fiat ars“ kombiniert bei seinem Dom-Konzert zur Fastenzeit alte mit zeitgenössischer Musik
Unter dem Motto „caput cruentatum“ steht das nächste Konzert in der Reihe „Geistliche Musik am Dreikönigenschrein“. Denn passend zur Fastenzeit bietet das Kölner Gesangsensemble „fiat ars“ am kommenden Freitag im Kölner Dom eine musikalische Kreuzesbetrachtung besonderer Art. Die lateinische Textzeile geht auf den mittelalterlichen Zisterziensermönch und Dichter Arnulf von Löwen zurück und ist Vorlage des bekannten Passionschorals "O Haupt voll Blut und Wunden" von Paul Gerhardt, den Johann Sebastian Bach später in seiner Matthäus-Passion verwendet hat. Und so stehen diesmal auf dem Programm des Kammerchores der Katholischen Hochschulgemeinde Köln, der auf Einladung der Kölner Dommusik zum wiederholten Mal im Hochchor des Domes auftritt, die Motette „O crux ave, spes unica“ von Orlando di Lasso, die Passions-Choral-Andacht über die sieben Kreuzesworte von Otto Thomas nach einer Dichtung von Paul Gerhardt, das Werk „AD“ des Amerikaners Barry Dirl, Jahrgang 1983, und das Stück „Amen“ aus dem Jahr 1975 des 2010 verstorbenen polnischen Komponisten Henryk Mikołaj Górecki.
„Diese Gegenüberstellung von Musik aus dem 16. Jahrhundert und zeitgenössischen Werken ist musikalisch ziemlich spannend und auch spirituell intensiv“, findet Jonas Dickopf, der den A-cappella-Chor seit seiner Gründung 2006 künstlerisch leitet und dieses Programm als eine Art Meditation zusammengestellt hat. „Wenn wir heutzutage einem Kreuz begegnen, geschieht dies in der Regel mit Beiläufigkeit“, sagt er. „Die Bildmarke des Kreuzes ist so tief in der DNA unserer Kultur verankert, dass sie – außerhalb von Debatten über Inneneinrichtungsgegenstände in öffentlichen Gebäuden – kaum noch Aufsehen erregt. Selbst gläubige Christen, für die das Kreuz ja eine größere Bedeutung hat, finden sich eher selten in einer echten emotionalen oder rationalen Beschäftigung mit dem Kreuz wieder“, erläutert er. Mit diesem Konzert solle daher weniger der gekreuzigte Jesus, als vielmehr der Akt einer persönlichen Kreuzesbetrachtung selbst in den Mittelpunkt gerückt werden. „Wir werfen gewissermaßen einen Meta-Blick auf Golgatha. Ich würde mir wünschen, dass das auch den Zuhörern gelingt und sie aus dieser Musik etwas für ihre persönliche Glaubenspraxis mitnehmen.“
Mit diesem Anspruch singt fiat ars auch Orlando die Lassos Motette „O crux ave, spes unica“, eine Strophe des frühchristlichen Hymnus „Vexilla regis“. Das Kreuz, so Dickopf, werde hier als Symbol des Sieges und als „einzige Hoffnung“ inszeniert. „Eine machtvolle Konstruktion, die im sechsten Jahrhundert auch noch relativ neu und geradezu skandalös kontraintuitiv war. Das frühe Christentum, das Kreuzigungen als reguläre Tötungspraxis nur allzu gut gekannt hat, stellte Christus aus nachvollziehbaren Gründen lieber als guten Hirten denn als Gekreuzigten dar.“ Den Fokus nicht auf Leid, Schmerz, Schmach und Trauer zu richten, sondern den mit dem Kreuz verbundenden Erlösungsgedanken herauszustellen, sei ein unerhörter Paradigmenwechsel gewesen, sagt der Chorleiter. Di Lasso, zu dessen Zeit sich ein solcher Blick auf das Kreuz längst als Standard etabliert hatte, habe dementsprechend den Text mit angemessenem, getragen-würdevollem Triumphgestus vertont.
Paul Gerhardt wiederum nähere sich in seinen „sieben letzten Worten“ auf völlig andere Weise dem Gekreuzigten, erklärt der fiat ars-Musiker. Ganz protestantischer Denker konzentriere er sich auf das Wort Jesu und richte seine Betrachtung von vornherein auf ein moralisches Lernziel aus: den Mensch gewordenen Gott anzuerkennen als Lehrmeister der Nächsten- und Gottesliebe – selbst noch im Leiden und Sterben – und darauf, sogar in der eigenen Not Trost zu schöpfen aus dem Glauben an Jesu Barmherzigkeit. „Otto Thomas wählt in seiner Vertonung ebenso klare wie sanfte Klänge von vorsichtiger Eindringlichkeit. Er setzt Gerhardts Lyrik um als luzide durchdachten und tief gefühlten Kommentar zur Kreuzigungsszene, die in Auszügen zwischen den Strophen verlesen wird“, erläutert Dickopf.
Mit „AD“ des noch relativ jungen und unbekannten amerikanischen Komponisten Barry Dirl hat fiat ars überdies ein musikalisch wie textlich überraschendes und ungewöhnliches Stück im Programm. Das Werk wurde eigens für den Chor geschrieben und wird im Rahmen seiner „caput cruentatum“-Konzerte uraufgeführt. Textgrundlage ist die „Oratio rhythmica“ von Arnulf von Löwen. “Hier betrachtet der Dichter nacheinander die Gliedmaßen Jesu – Füße, Knie, Hände, Flanken, Brustkorb, Herz und Kopf – und versucht über Leiblichkeit eine Verbindung zwischen sich selbst und dem Gekreuzigten herzustellen”, sagt Dickopf. “Dieser sehr mystische Zugang zu Jesus mittels seines Körpers ist einerseits befremdlich, andererseits in unserer körper- und fitnessfixierten Zeit auch gerade wieder fruchtbar. Dirls Vertonung schwankt jedenfalls zwischen Zustimmung und Skepsis dem Text gegenüber und bedient sich einer modernen, aber gut hörbaren Tonsprache.”
Fiat ars widmet sich der sakralen Chormusik aller Epochen und verfügt über ein überaus umfangreiches Repertoire, wobei die etwa 30 Sängerinnen und Sänger von Anfang an eine Vorliebe für zeitgenössische Chorliteratur entwickelt haben und diese mittlerweile schwerpunktmäßig erarbeiten. Zwischen seinen Konzertreisen innerhalb Deutschlands, aber auch ins europäische Ausland gestaltet das Ensemble vor allem regelmäßig Konzerte und Gottesdienste in den vielen großen und kleinen Kirchen Kölns. Jonas Dickopf war ehemals Mitglied im Kölner Domchor, studierte nach dem Abitur Philosophie und Germanistik und absolvierte die kirchenmusikalische C-Ausbildung des Erzbistums Köln.
Das Konzert mit „fiat ars“ unter der Leitung von Jonas Dickopf beginnt am 24. März um 20 Uhr im Kölner Dom. Der Eintritt ist wie immer frei.
Beatrice Tomasetti