Tödliches Liebesdrama mit starken Bildern
32 Mädchen und Knaben der Kölner Dommusik wirken bei der Oper „Tosca“ mit
Kein monumentaler Stadt-Palazzo und keine historische Engelsburg. Und auch keine großen Roben aus der napoleonischen Zeit, wie es die ursprüngliche Librettofassung eigentlich vorsieht. Nein, Regisseur Thilo Reinhardt und Bühnenbildner Paul Zoller lassen andere Bilder sprechen und adaptieren für ihre Inszenierung von „Tosca“ aus dem Original nur die römische Kirche Sant’Andrea della Valle des ersten Aktes, um letztlich mit dieser einen Kulisse auszukommen und aus dem „heiligen Boden“ später die Folterhöhle und Hinrichtungsstätte des hinterhältigen Faschistenchefs Scarpia zu machen. Der große Altar in der Mitte der Bühne mit dem schwer darüber hängenden Kreuz ist schließlich mehr als nur Requisite. Er wird in diesem großen Operndrama zum Zentrum, auf dem nicht nur der Mesner liturgische Handlungen vollzieht, in denen die vom Krieg traumatisierten Menschen Beistand und Trost finden sollen. Eher wird er geradezu zum Inbegriff einer sakralen Opferstätte, auf der nicht nur Scarpia – das Böse an sich – widerwärtig seine Skrupellosigkeit und Brutalität zelebriert, sondern auch sprichwörtlich mit Füßen tritt, was menschliches Leben zusammenhält: die Liebe und der erbittert geführte Kampf um das, was um keinen Preis der Welt auf dem Altar der Intrige und des Verrates geopfert werden darf: das Treueversprechen – und wenn es das Gelübde des Mesners ist. Konsequent zu Ende gedacht wird dabei, dass letztlich an selber Stelle auch das Ringen der beiden leidenschaftlich Liebenden, der Sängerin Floria Tosca und des Kirchenmalers Cavaradossi, dem Tod anheim fällt und nur er es ist, der Erlösung schenkt.
Hier wird mit unmissverständlichen Anleihen an christliche Symbolik gespielt und an Tabus gerührt, die erschauern lassen. Heiliges wird entweiht, der Missbrauch – in ganz unterschiedlichen Ausdeutungen – zur Maxime erhoben. Auch die Kriegsmaschinerie mit ihren Helfershelfern nimmt gnadenlos ihren Lauf: Der Sadist Scarpia imaginiert sich zum „Te Deum“ gar als Hohepriester einer selbstgeschaffenen Religion und ergötzt sich auf dem Höhepunkt seines menschenverachtenden Gebarens blasphemisch an Hostien und Messwein. Bombeneinschläge im Gotteshaus, der letzten Zufluchtsstätte für verängstigte Zivilisten, die Soldatenuniformen des Exekutionskommandos, die Folterung Cavaradossis mit Dornenkrone und Kreuzigung, die Verzweiflung Toscas, die ihren von den Schergen aufs Blut gepeinigten Helden mit der eigenen Selbstaufgabe freikaufen will und aus lauter Hilflosigkeit einen Pakt mit dem in der Figur Scarpias personifizierten Teufel eingeht – das alles sind Elemente, die dramaturgisch kaum zu steigern sind und einen mitreißen in diesen Strudel existenzieller, da lebensbedrohlicher Handlungsabfolgen. Der Krieg macht Menschen zu Bestien. Oder die Macht? Die Führer des Zweiten Weltkrieges – auch in Italien wüten sie gnadenlos – hinterlassen nichts als Trümmer und Gräber. Auch hier ist diese moderne Interpretation des im Jahr 1900 in Rom uraufgeführten Musiktheaters Giacomo Puccinis um Eifersucht, Liebesschwüre, Selbstüberschätzung und Mord umgedeutet und wird zu ganz großem Kino, das der Musik mindestens gleichwertiger Partner ist.
Für manche der 32 Mädchen und Knaben, die bei dieser erneuten Wiederaufnahme von „Tosca“ mitsingen – zuletzt wurde sie 2013 in der aktuellen Version im Blauen Zelt gespielt – ist diese Inszenierung im Deutzer Staatenhaus nicht neu. Schon einmal waren sie vor drei Jahren mit dabei, als sie als eine ausgelassen zwischen Nonnen und Patres umher springende Ministrantenschar zunächst in ihren schwarz-weißen Messdienergewändern auf die Bühne gelaufen kamen. Bei ihrem zweiten Auftritt kurz darauf – dann mit brennenden Fackeln – , den sie feierlich schreitend einläuten und der an eine pseudomilitärische Parade erinnert, bei der sie zu Propagandazwecken eingesetzt werden, sind sie wichtiger Bestandteil eines vorweggenommenen Finales, das für einen ersten dramaturgischen Höhepunkt steht. „Diese Regiearbeit lotet die Grenzen aus“, erklärt Chorleiter Oliver Sperling zur Inszenierung. „Der Part der Kinder hat hier nichts Niedliches, wie man das zunächst bei einer fröhlichen Messdiener-Truppe üblicherweise erwarten könnte. Eher etwas Verstörendes.“ Daher habe er mit den Kindern auch ausführlich über den Kontext, in den sich die 24 Sängerinnen des Mädchenchores und die acht Knaben des Domchores mit ihrem szenischen Spiel nach den Vorgaben der Regie integrieren müssen, gesprochen.
„Bei solchen Inszenierungen müssen wir als Pädagogen eine Übersetzungshilfe geben, mit den Kindern offen über Deutungsansätze sprechen und für Fragen zur Verfügung stehen“, sagt auch Dommusik-Leiter Eberhard Metternich, der sich mit Kollege Sperling nicht nur die musikalische Einstudierung, sondern auch die Betreuung der Zehn- bis Vierzehnjährigen an den Abenden ihres Auftritts teilt. „Auch wenn die Kirche bislang noch der letzte geschützte Raum war, der hier aber jetzt erbarmungslos preisgegeben wird, und die Kinder mit dem faschistoiden Gedankengut eines Verbrechers von der Größenordnung Scarpias konfrontiert werden, sind die Bilder stark und anregend“, findet Sperling. „Für uns Katholiken ist die Entweihung des Mysteriums oder aber auch die eines Menschen durch Vergewaltigung, wie sie hier andeutungsweise Tosca widerfährt, ein Sakrileg, auf das wir aufmerksam machen müssen – auch wenn es für die Kunst solche Denkverbote nicht immer gibt.“
Die nächsten Aufführungen finden am 30. Juni sowie am 2., 7. und 10. Juli im Deutzer Staatenhaus statt. Inszenierung: Thilo Reinhardt,Bühne: Paul Zoller, Dramaturgie: Birgit Meyer.In den Hauptrollen der Floria Tosca: Ingela Brimberg / Adina Aaron, Mario Cavaradossi: Lance Ryan / Dmytro Popov, Baron Scarpia:Samuel Youn / Dimitri Platanias. Musikalische Leitung: Claude Schnitzler.
Beatrice Tomasetti