Manege frei für Fakire, Hochstapler & Co.
Die diesjährige Projektwoche der Kölner Domsingschule fand in Zusammenarbeit mit dem Kölner Spielecircus e. V. statt
Sich auf ein Nagelbrett zu legen erfordert viel Überwindung. Auch mit nackten Füßen auf einen Scherbenhaufen zu treten oder die Finger an eine brennende Fackel zu halten kommt einer Mutprobe gleich. Selbst als Clown bemüht linkisch-komische Bewegungen auszuführen, einen Drahtseilakt zu trainieren oder Höhenangst zu überwinden, um am Ende der Leiterspitze mit breit ausgestreckten Armen zu triumphieren, kann – je nach Temperament – zur großen Herausforderung werden. Und trotzdem haben diese Kunststücke vor allem viel mit Spaß am Spiel und sich selbst Ausprobieren zu tun. Das jedenfalls war eines der pädagogischen Ziele der diesjährigen Projektwoche in der Kölner Domsingschule, zu der Rektorin Gertrud Trebels wiederholt den Kölner Spielecircus mit ins Boot geholt hatte. Fünf Tage lang in die Rolle eines Akrobaten, Jongleurs, Fakirs, Hochstaplers, Pyramidenbauers oder Feuerspeiers zu schlüpfen – das stellt eigentlich fast ausnahmslos für jedes Kind eine unwiderstehliche Versuchung dar. Und fördere ganz nebenbei die soziale und emotionale Reife der Sechs- bis Zehnjährigen, sagt die Schulleiterin über diese Veranstaltung, die in der Regel alle vier Jahre in der Domsingschule stattfindet und vom Förderverein der Kölner Dommusik finanziell unterstützt wird.
Doch diese Zirkus-Woche, bei der die Schülerinnen und Schüler zunächst erst einmal ihre Fähigkeiten und Neigungen austesten konnten, bei allen Angeboten erst einmal „schnuppern“ durften, bevor sie sich für eine Disziplin endgültig entscheiden sollten, lebt auch ganz viel von engagierter Elternarbeit. „Dass uns viele Eltern bei diesem Mitmach-Programm geholfen und mit den Kindern die von den beiden Zirkus-Pädagogen Daan Mackel und Jonas Dammers angeleiteten Übungen immer wieder nachgemacht und trainiert haben, ist ein ganz unverzichtbares Element dieser Aktion“, betont Trebels. „Die einzelnen Gruppen haben sich auf alle Räume verteilt, so dass hier fünf Tage lang reges Treiben herrschte und man eigentlich nur glückliche Gesichter sah“, resümiert die Pädagogin zufrieden. Zu dem Projekt gehöre allerdings auch, dass der erste Tag zunächst einmal als eine Art Lehrer- und Elternfortbildung gedacht sei, bei der die Kinder den Zuschauerpart übernähmen. „Da sind wir es dann, die lernen, mit Tellern zu jonglieren, eine Menschenpyramide zu bauen oder über eine brennende Fackel zu springen“, erklärt die Schulleiterin. „Das bringt uns alle einmal aus dem üblichen Trott heraus und schafft noch einmal ein ganz neues Gemeinschaftsgefüge. Denn alle Zirkusnummern sind so konzipiert, dass man sich aufeinander verlassen können muss. Das gilt für uns Erwachsene genauso wie für die Kinder.“ Auch da kehrten sich zur Abwechslung schon mal die Verhältnisse um: „Die jüngeren Kinder helfen den älteren – wie auch umgekehrt.“ Und vereinbarte Regeln müssten – wie sonst auch – eingehalten werden, damit am Ende auch das Ergebnis stimmt.“
Einmal losgelöst vom Klassenverband und altersgemischt schließen sich die Kinder dann mit der nach einigen Testdurchläufen getroffenen Wahl für den Balanceakt auf dem Drahtseil oder die übermütige Clownstruppe zu einer neuen Gruppe zusammen. Bei dieser Entscheidung sind sie ganz frei, ihre eigenen Prioritäten zu setzen. „Das ist auch einmal eine neue Erfahrung für die Kinder, dass kein Lehrer vorgibt, was zu tun ist oder mit welchem Tischnachbarn sie sich bei der Lösung einer Aufgabe zusammenschließen müssen“, erklärt Trebels. „Das sind spannende Prozesse, die sich bei einer solchen Suche nach der Lieblingsbeschäftigung abspielen – mit der Absicht, schließlich auf ein gemeinsames Ziel, die Präsentation des Erlernten vor großem Publikum, hinzuarbeiten.“ Alle diese Lernschritte könnten die Kinder später wieder verwenden, beispielsweise bei ihrer Chorarbeit und den dann allmählich folgenden öffentlichen Auftritten im Dom oder bei Konzerten. „Sowohl im Chor als auch hier geht es darum, Disziplin zu erlernen – nur bei den akrobatischen Einsätzen eben etwas spielerischer. Außerdem soll Eigenverantwortlichkeit eingeübt werden. Jeder muss wissen, welchen Platz er einnehmen soll, um dann die entsprechenden Tricks und abgeschauten Techniken zeigen zu können. „Es ist der berühmte Blick hinter die Kulissen, der Kinder enorm reizt. Und jedes Kind findet letztlich auch seine Nische. Alle können in Ruhe herausfinden, wo ihre Stärken liegen. Dabei geht es auch darum, sich selbst etwas zuzutrauen und vielleicht sogar über sich hinauszuwachsen. Auch für uns Erwachsene war es spannend, unsere Lehrerrolle gegen die kaum alltägliche innerhalb des Zirkusspiels einzutauschen und viel Spaß miteinander bei der Bewältigung der unterschiedlichsten Aufgaben zu haben“, lacht die Pädagogin. „Gleichzeitig haben wir dabei ein Stück Gelassenheit gelernt, dass sich bei der Aufführung am Ende einer derart intensiven Woche schon irgendwie alles wunderbar aneinander reiht, ohne dass wir als Lehrkörper – wie wir es sonst üblicherweise gewohnt sind – permanent eingreifen müssten oder die Hauptverantwortung für das Gelingen tragen.“ Trotzdem gehöre eine Auswertung dieser Projektwoche nach ein paar Tagen natürlich mit dazu.
Neugierde und Lust an Bewegung bringen Kinder schon ganz von alleine mit. Für Schminke, originelle Kostüme, die dazu passenden Requisiten und auch fröhliche Musik sorgt der Spielecircus. Am Ende waren die beiden Aufführungen in der Turnhalle der Domsingschule ein voller Erfolg. Man konnte sich gar nicht satt sehen an den vielen lustigen, charmanten, phantasievollen und kurzweiligen Vorführungen der Kids, die sichtlich stolz ihre Leistungen zeigten. Das Publikum, die vielen Eltern im Zuschauerraum, belohnte den Fleiß der Nachwuchsartisten mit anhaltendem Applaus. Schon jetzt – das ist gewiss – freuen sich Kinder wie Erwachsene auf ein nächstes Mal, wenn es beim Kölner „Domsing-Zirkus“ wieder heißt: „Manege frei, hereinspaziert…!“
Beatrice Tomasetti