"Erfahrbar machen, Gottes geliebtes Kind zu sein" - Interview mit Grundschulleiterin Annette Riehm


Immer weniger Kinder wissen, wie ein Kreuzzeichen geht oder was zu Weihnachten gefeiert wird. Doch in der Kölner Domsingschule, die auch nicht-katholische Kinder aufnimmt, gehören solche Lerninhalte ab der ersten Klasse mit dazu.

Schulleiterin Anette Riehm (c) B. Tomasetti

DOMRADIO.DEFrau Riehm, seit kurzem gibt es ein von Erzbischof Woelki herausgegebenes Leitbild für Erzbischöfliche Schulen. Was sind die Kernaussagen?

Annette Riehm (Leiterin der Erzbischöflichen Kölner Domsingschule): Das Leitbild beschäftigt sich mit dem Selbstverständnis der Erzbischöflichen Schulen, zu dem ganz wesentlich die Reflektion und Schärfung des katholischen Profils durch die Abbildung des Verkündigungsauftrags der Kirche innerhalb des Erziehungs- und Bildungsauftrag gehört. Gemeint ist die konkrete Ausgestaltung der Schulen und des Schullebens auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes. Denn uns zeichnet die Überzeugung aus: Wir haben eine frohe Botschaft! Erzbischöfliche Schulen sind mit der Entwicklung eines Lebensraums beauftragt, in dem der pastorale Sendungsauftrag von Kirche für alle am Schulleben Beteiligten aktiv stattfindet. Jedes Kind soll an unseren Schulen willkommen sein. 

Im Kern geht es also um eine den Schülerinnen und Schülern zugewandte Haltung, die ausdrückt, sie sind Gottes Ebenbild. Unser besonderes Profil gibt gemeinschaftsstiftende Impulse. Darüber hinaus gehört für uns dazu, verbindliche Angebote zu machen, die die individuelle Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen wahrnehmen und stärken können. 

In diesem Kontext finden sich beispielsweise religionspädagogische Unterrichtsvorhaben und Projekte, karitatives Engagement und spirituelle Orientierungsangebote, wie sie in den einzelnen Schulprogrammen je nach Schulform vereinbart werden. Das Leitbild wirkt also in die Schulentwicklung, die ja jede Einrichtung zu leisten hat, direkt und konkret hinein.

DOMRADIO.DEBis 2021 durfte die Kölner Domsingschule, die 1986 durch den damaligen Erzbischof Joseph Kardinal Höffner eigens für die Nachwuchsförderung der Domchöre gegründet wurde, ausschließlich katholische Kinder aufnehmen, während dem Interesse nicht-katholischer Kinder nicht entsprochen werden konnte. Das hat sich nun inzwischen geändert…

Riehm: Seit Jahren haben wir Anfragen von nicht-katholischen Familien – entweder weil sie hier im Stadtteil wohnen, Freunde des Kindes auf die Domsingschule gehen oder ihr Kind im Kita-Alter die musische Vorschule, die von der Musikschule der Kölner Dommusik in unserem Haus angeboten wird, besucht. Und obwohl diese Familien in der Vergangenheit immer wieder großes Interesse an unserer Schule hatten und die Kinder auch sehr geeignet gewesen wären, mussten wir sie ablehnen, weil sie nicht katholisch getauft waren. 

Im Verbund der erzbischöflichen Schulen waren wir die einzige Schule, für die lange ein solch strenges Aufnahmeverfahren galt, während es in den anderen erzbischöflichen Schulen längst möglich ist, unter bestimmten Bedingungen auch nicht-katholische Schüler aufzunehmen.

Warum das so war, lässt sich kaum noch eruieren, es hatte sich eher in den 38 Jahren seit Bestehen der Schule als Bedingung tradiert, weil eben die spätere Mitgestaltung der Liturgie im Dom eine zentrale Rolle spielt. Dabei haben sowohl der Kölner Domchor als auch der Mädchenchor am Kölner Dom schon seit einigen Jahren konfessionslose oder evangelische Kinder als Quereinsteiger von anderen Kölner Schulen mit dabei, wenn sie im Einzelfall den Wunsch geäußert haben, in den Domchören mitzusingen. Diese Kinder konnten immer gut integriert werden.

2021 nun haben wir an unseren Schulträger den Antrag gestellt, auch unsere Schule für nicht-katholische Kinder zu öffnen und das mit dem ehrlichen Interesse der nicht-katholischen Familien an unserem besonderen Profil begründet. Für uns steht das im Zusammenhang mit unserem missionarischen, pastoralen und diakonischen Auftrag. 

Wir machen ein konfessionelles Angebot, das sich in unserer Haltung, die wir hier leben, widerspiegelt. Und wir merken, dass die Werte, die mit einer katholischen erzbischöflichen Schule verbunden werden, Menschen ansprechen und sich Eltern oft für ihre Kinder ein konfessionell gebundenes Angebot, das das christliche Menschenbild in den Mittelpunkt rückt, wünschen – selbst wenn sie, aus welchen Gründen auch immer, der katholischen Kirche nicht angehören. Gerade dieser Blick auf das Kind grenzt uns ja auch von der öffentlichen Schule ab. Denn wir sind weltanschaulich nicht neutral.

DOMRADIO.DEWie erklären Sie sich dieses Interesse an der Kölner Domsingschule, wenn die Eltern selbst nicht katholisch sind, zumal das ja doch eine sehr bewusste Entscheidung ist?

Riehm: Die meisten Eltern haben natürlich ein musisches Interesse und wollen ihr Kind musikalisch ausbilden lassen. Das ist oft das ausschlaggebende Kriterium. Schließlich bieten wir bereits ab dem ersten Schuljahr eine Gesangs- und später auch eine Instrumentalausbildung an. Für die katholischen Kinder ist dann außerdem die Feier der Erstkommunion im Dom ein Anreiz. 

Unsere religiöse Haltung ist uns genauso wichtig wie der musikalische Schwerpunkt. Wir zeigen sie, indem wir zum Beispiel nach dem Kirchenjahr leben, karitative Projekte initiieren und die Kinder altersgerecht dazu anhalten, auf den anderen zu schauen und damit auch einen wesentlichen Beitrag zu einem gelingenden gesellschaftlichen Zusammenleben zu leisten. In einer Zeit, in der gerade Neuhinzugezogene keinen Kontakt mehr zu einer kirchlichen Ortsgemeinde entwickeln und ihr Kind noch nicht haben taufen lassen, obwohl sie vielleicht sogar selbst katholisch sind, bieten wir den Eltern Unterstützung an, indem wir diesem Bedürfnis, wieder eine Verbindung zur Kirche herzustellen, entsprechen.

Das musikalisch-religiöse Profil ist ganz klar unser Alleinstellungsmerkmal. Hinzu kommt, dass wir ein attraktives Schulgelände haben. Jedes Klassenzimmer hat zusätzlich noch einen Nebenraum. Wir haben einen weitläufigen Schulhof mit angrenzender Streuobstwiese und viele Fachräume, in denen Instrumentalunterricht erteilt wird. 

Mit der Mensa und der optionalen Nachmittagsbetreuung haben wir hier so etwas wie einen Campus, so dass wir den Eltern sehr glaubwürdig vermitteln können, dass ihr Kind bei uns geborgen ist, was man sich in einer Großstadt für sein Kind natürlich wünscht. Schließlich kommt auch in unserer jährlichen Elternumfrage immer zum Ausdruck, dass dies der wichtigste Aspekt für Eltern ist: Unser Kind ist gut aufgehoben. 

Nicht zuletzt haben wir auch ein sehr motiviertes und engagiertes Kollegium, das die Haltung der Domsingschule verkörpert und die Idee der Schule konsequent weiterentwickelt.

DOMRADIO.DEIm Schuljahr 2022/23 sind die ersten nicht-katholischen Kinder bei Ihnen eingeschult worden. Welche Erfahrungen machen Sie damit? Gibt es verpflichtende, im Schulvertrag auf der Basis des Schulprogramms verankerte Elemente, die für alle Kinder gelten? Schließlich steht für diese Jahrgänge ganz konkret die Vorbereitung auf die Erstkommunion an, die in der Regel mit einer intensiven Auseinandersetzung zu Fragen des katholischen Glaubens einhergeht…

Riehm: Zunächst fiel diese Neuerung gar nicht groß auf. Alle Kinder – katholisch oder nicht – gehen gemeinsam in die Schulgottesdienste und nehmen am katholischen Religionsunterricht teil. Das ist im Schulvertrag ein verpflichtendes Element, und die Eltern stimmen dem auch ausdrücklich zu. 

Klar ist aber auch, dass selbst katholisch getaufte Kinder nicht immer – wie noch vor einiger Zeit – eine katholische Sozialisierung zuhause erfahren. Es ist Realität, dass Katholisch-Sein nicht automatisch auch bedeutet, sonntags in die Kirche zu gehen oder in anderer Form am Gemeindeleben teilzunehmen. Wenn die Kinder vorher in einer konfessionellen Kita waren, kommt das noch vor. Aber wir stellen zunehmend fest, dass selbst katholisch getaufte Kinder im ersten Schuljahr keine Ahnung vom Kreuzzeichen haben. 

Da müssen wir schon die gesellschaftliche Realität wahrnehmen und solche Dinge erst einmal einüben. Deshalb macht unser Schulseelsorger Burkhard Hofer auch seit ein paar Jahren mit den Erstklässlern zunächst eine Kirchenraumerkundung, bei der er das Kreuz, den Tabernakel oder liturgische Gewohnheiten und Verhaltensregeln erklärt. Ein solches Wissen, das vor 20 Jahren vielleicht noch selbstverständlich war, kann auch bei katholischen Kindern längst nicht mehr vorausgesetzt werden. 

Nun geht im kommenden Mai der erste Jahrgang seit Öffnung der Schule für nicht-katholische Kinder zur Erstkommunion. Zum Kommunionunterricht, der gerade beginnt und der für die katholischen Kinder verpflichtend ist, gehören unter anderem die Teilnahme an der Dreikönigswallfahrt und an der Sternsingeraktion rund um den Dom sowie eine Erstkommunionfahrt dazu. Auch die nicht-katholischen Kinder werden explizit dazu eingeladen, denn wir sind davon überzeugt, dass diese Erfahrungen zur Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes beitragen und dass jedes Kind "communio" im eigentlichen Sinne – nämlich in der Klassengemeinschaft – erleben sollte. 

Wir wollen ja niemanden ausschließen, was ganz dem Leitsatz "Du bist uns willkommen" entspricht. Uns ist wichtig, dass jedes Kind für sich Gemeinschaft erlebt und spürt, dass es in dieser Gemeinschaft erwünscht ist. Gleichzeitig respektieren wir, wenn das von den Eltern nicht komplett gewollt wird. Deshalb könnten wir parallel auch ein musikalisches Förderangebot machen. In diesem Jahr aber haben alle nicht-katholischen Eltern zugestimmt, dass ihr Kind beim "Koki-Kurs" mitmacht und auch bei der "Koki-Fahrt".

DOMRADIO.DEWie können Sie darauf reagieren, dass beim Thema Religion und Glaube sehr unterschiedliche Voraussetzungen, die die Kinder als Prägungen mitbringen, bestehen?

Riehm: Gesellschaftlich leben wir in einem weltanschaulichen Spannungsfeld, doch wer sein Kind in einer erzbischöflichen Grundschule anmeldet, hat sich für eine weltanschaulich nicht neutrale Erziehung entschieden. Die Voraussetzungen, die die Erstklässler mitbringen, sind grundsätzlich – und das gilt für jede andere Grundschule auch – sehr unterschiedlich: Während der eine schon lesen oder rechnen kann, ist der andere nicht einmal in der Lage, sich die Schnürsenkel selber zuzubinden. Das aber gehört zum täglichen Brot einer Grundschullehrkraft, dass wir mit sehr heterogenen Gruppen umgehen müssen. 

Dasselbe gilt für die Schulpastoral. Aus diesem Grund haben sich unsere Religionslehrerinnen und -lehrer diesen neuen Entwicklungen schon längst gestellt. Denn auch hier bemerken wir, dass Kinder teilweise nicht wissen, warum wir eigentlich Weihnachten feiern. Sich aber mit Elementarem zu befassen, führt zu einer Reflektion oder auch Selbstvergewisserung unseres Glaubens, die auch eine Chance ist. Selbst die Kinder reflektieren übrigens schon früh, wenn sie davon erzählen, dass sie durchaus auch schon mal gebetet haben oder mit den Großeltern in die Kirche gehen. Und in unserem Schulalltag werden dann solche Elemente eingeübt und sind schließlich selbstverständlich – wie das Gebet am Morgen oder vor dem Mittagessen. 

Aber auch wenn die Voraussetzungen sehr unterschiedlich sind – das fängt ja schon bei der Familienform an – müssen wir uns als Lehrerkräfte darauf verständigen, was für uns Priorität hat. Und da ist für uns die Glaubensvermittlung zentral. Religionsunterricht wollen wir nicht als x-beliebigen Sachunterricht erteilen, sondern wir leben eine religiöse Haltung, die in der Musik ihre Entsprechung findet. Gerade über das gemeinsame Musizieren kommt bei den Kindern ganz viel an, weil sie über Musik auf der emotionalen Ebene erreichbar sind. Unsere Botschaft ist bei allem, was wir tun und wofür wir stehen: Du bist ein geliebtes Gotteskind. Und Vielfalt bereichert unser Miteinander.

DOMRADIO.DE: Vor welche Herausforderungen stellt die soziale, kulturelle und religiöse Vielfalt der Kinder Ihren Bildungsauftrag?

Riehm: Wir werden jedenfalls mehr als andere hinterfragt und müssen uns dem aktuellen gesellschaftlichen Diskurs stellen – mit allem, was gerade dazu gehört. Hinzu kommt, dass sich auch die nicht-katholischen Familien ganz genau nach den Inhalten der Erstkommunionvorbereitung erkundigen, wozu der Schulseelsorger eigene Elternabende anbietet. Insgesamt müssen wir uns einfach mehr Zeit nehmen, das, was uns wichtig ist, gut zu erklären. Übrigens nimmt Herr Hofer bereits an den Anmeldegesprächen von nicht-katholischen Kindern teil, was den Stellenwert unseres Profils als erzbischöfliche Schule unterstreicht.

Wir signalisieren: Wir haben ein klares Angebot und wir nehmen gerne jeden mit, der daran interessiert ist. Denn wir glauben, dass wir mit unserem Profil etwas leisten, das den Kindern Wesentliches für ihre individuelle Entwicklung bringt. Das verstehen wir als unsere Aufgabe, und die macht uns ganz viel Spaß. Wir freuen uns über jedes Kind, das kommt, weil es die Gemeinschaft bereichert.

Das Interview führte Beatrice Tomasetti.